Im Interview: Gemeinschaftsgärten für eine regionale Lebensmittelversorgung und ganz viel Spaß21/6/2016 Kerstin, Till und Tobi erzählen vom Gemeinschaftsgarten Knollen & Co. in Freising by Dr. agr. Manuela P. Gaßner An einem wunderschönen Montagmorgen stehen vier Fahrräder am Feldrand. Ich bin in einem kleinen Paradies gelandet und treffe Kerstin, Till und Tobi im Gemeinschaftsgarten Freising. Kerstin Metko (29) ist Soziologiestudentin an der LMU München und Till Heinze (31) Brauwesenstudent an der TU München. Die Beiden haben Anfang 2015 den Gemeinschaftsgarten Knollen & Co. gegründet. Seit dem ist einiges geschehen, der gemeinnützige Verein hat inzwischen zwei Flächen, besteht aus 37 Mitgliedern und hat über 260 Freunde. Tobias Wolf (25) Gartenbaustudent an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf ist von Anfang an dabei und gärtnert fleißig und mit großer Leidenschaft mit. Sie berichten über die Entstehung der Idee, was ein Gemeinschaftsgarten ist, wer mitmacht und was angebaut wird. Außerdem erzählen die Drei, wie sie die Entwicklung von Urban Gardening sehen, geben Tipps für Neugründer und was sie sich für die Zukunft des Gartens wünschen. Die erste Frage ist natürlich, wie seid Ihr auf die Idee gekommen einen Gemeinschaftsgarten in Freising zu gründen?
Till: Ein Freund machte mich darauf aufmerksam, dass am Rande Freisings eine kleine Gärtnerei mit zwei Gewächshäusern leer steht (und dies bis heute tut). Der Gedanke, diesen Ort wieder mit Leben zu füllen, ließ mich nicht mehr los. Ich begann also nach Verbündeten zu suchen und traf dabei glücklicherweise recht schnell auf Kerstin. Nach Abwägung einiger Alternativen entschlossen wir uns zur Gründung eines gemeinnützigen Vereins. Es wurde jedoch schnell klar, dass wir die Miete für die Gärtnerei nicht aufbringen können würden. Zum Glück fanden wir zu Beginn der letzten Gartensaison einen schönen Flecken Erde im Bachinger Moos, den wir seit dem gemeinschaftlich gestalten und pflegen. Tobi: Für meinen Teil bin ich schon lange an Selbstversorgung und -organisation interessiert. Als ich von der Idee des Gartens erfuhr war ich total begeistert und schloss mich der Gründung des Vereins an. In einer selbstorganisierten Gemeinschaft tätig zu werden ist, denke ich, in unserer heutigen Gesellschaft etwas sehr wichtiges. Somit kann man an den bestehenden gesellschaftlichen und industriellen Strukturen etwas zu verändern. Wir alle wissen von der zunehmenden Umweltzerstörung durch Industrialisierung und Globalisierung. Auch das so hochgeschätzte Privateigentum und das Leben hinter verschlossenen Türen ist meiner Ansicht nach ein Auslöser vieler zwischenmenschlicher und kultureller Probleme. Daher wird es Zeit die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen! Es gibt auch noch andere Formen des privaten bzw. gemeinschaftlichen Gärtnerns. Was unterscheidet einen Gemeinschaftsgarten von anderen Formen wie dem Schrebergarten oder einer Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi)? Tobi: Ein Schrebergarten ist Privat und für die Öffentlichkeit unzugänglich... Somit ist in den meisten Schrebergartenparzellen kein Platz für Austausch, gemeinsames Experimentieren, Lernen und Arbeiten. Eine SoLaWi versucht meist mithilfe von bezahlten Mitarbeitern biologisch erzeugte Lebensmittel einem bestimmten Abnehmerkreis zukommen zu lassen. Sie ist meist organisiert als Genossenschaft und hat gut zahlende Mitglieder. Unser Gemeinschaftsgarten unterscheidet sich dadurch, dass er als gemeinnütziger Verein eingetragen wurde und jedem Mitglied Mitspracherecht eingestanden wird. Alle Entscheidungen, vom Saatgut und den Anbaumethoden bis zu den Mitgliedsbeiträgen werden durch Diskussion und Abstimmung getroffen. Auf unseren Flächen ist die Öffentlichkeit herzlich willkommen und der Garten soll dem gemeinsamen Lernen und Experimentieren dienen. Ich denke der größte Unterschied liegt in der erwünschten Öffentlichkeit und dem non-profit Gedanken. Till: Jeder Gemeinschaftsgarten hat so seine Eigenarten, je nach Zusammensetzung der Mitwirkenden und den Möglichkeiten, die sich durch die Gärten an sich ergeben. Da wir z.B. relativ viel Platz haben, bieten wir unseren Mitgliedern auch die Möglichkeit, ihre eigenen Beete anzulegen, deren Größe sie (noch) frei wählen können. Ich würde sagen, das sind schon fast Züge einer Schrebergarten-Kolonie; jedoch gibt es bei uns keine Zäune oder Ähnliches. Auch weißt unser Garten Züge einer SoLaWi auf, da wir durch das professionelle Herangehen von Tobi recht große Erträge einfahren, die es dann zu verteilen gilt. Dabei übernimmt Tobi fast die Rolle einer bezahlten Fachkraft einer SoLaWi, nur dass er es komplett ehrenamtlich macht (!!!). Kerstin: Ich sehe das wie Tobi und Till, der größte Unterschied ist das gemeinsame Gärtnern ohne finanzielle Gewinnabsichten. Wir planen alles zusammen, gärtnern gemeinsam und haben uns eine grüne Couch geschaffen, wo man auch einfach mal nur sein kann.Jeder ist herzlich Willkommen frisches Gemüse nach dem eigenen Geschmack zu genießen, mitzurelaxen oder mitzumachen. Tobi ist Gärtner aber Kerstin Soziologin und Till Brauer, sind die Knollen & Co. Mitglieder mehr Gärtner oder Nicht-Gärtner? Kerstin: Das ist gut gemischt. Wir haben ein paar wirklich erfahrene Gärtner mit dabei, aber auch viele verschiedene Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und jeder kann etwas miteinbringen, dass macht es besonders interessant. Till: Wir haben Glück, dass unsere Gärten in unmittelbarer Umgebung des Wissenschaftszentrum Weihenstephan mit seinen vielen grünen Studiengängen für Ernährung, Landnutzung und Umwelt liegen. Daher haben wir einen hohen Anteil an fachkundigen Mitgliedern. Ich würde sagen, das ist eine schöne Eigenart unseres Gartens: ein immenses kollektives Wissen auch jenseits der Hochschullehre. Tobi: Die Mitglieder unseres Vereins sind somit Studenten aus den Richtungen Brauwesen, Architektur, Biologie, Soziologie oder Gartenbau. Aber auch die working-class-heroes aus Bereichen wie Agrar, Forst und Landschaftsbau sind vertreten. Und einige Mitglieder kommen aus dem Büro und dem Steuerbereich. Der Sommer ist im Moment zwar ziemlich regnerisch, aber die Gartensaison läuft schon. Was baut Ihr auf den Flächen an und wie sieht ein Arbeitsjahr im Gemeinschaftsgarten aus? Tobi: Einen wirklich strukturierten Arbeitsablauf gibt es bei uns noch nicht, da viel ausprobiert wird und nicht alle Mitglieder regelmäßig Zeit haben. Aber im zeitigen Frühjahr werden die Beete erst einmal wieder auf Vordermann gebracht. Während dieser Zeit verteilen wir Saatgut zum Vorziehen an die Mitglieder, also Tomaten usw... Die ersten Kulturen im Freiland waren dieses Jahr Radies, Spinat, Rüben und Salate. Die von den Mitgliedern vorgezogenen Pflänzchen sammeln wir im Garten, um sie gemeinsam Mitte Mai in die Erde zu bringen. Als nächster großer Arbeitsschritt steht die Ernte an. Einmachen, Lagern, Konservieren. Nicht zu vernachlässigen sind während der Kulturperioden die Mäh-, Gieß- und Unkrautarbeiten. Zu guter Letzt stehen im Herbst die restliche Ernte und die Wintervorbereitung der Beete an. Da der soziale Aspekt nicht zu kurz kommen soll, gibt es im Laufe des Jahres kleine Feste und gelegentliche Lagerfeuer- und Kochabende. Till: Die kalte Zeit des Winters überbrücken wir alle zwei Wochen mit einem gemeinsamen Treffen im Warmen um gemeinschaftlich zu kochen die kommende Gartensaison zu planen. Immer wieder taucht der Begriff Urban Gardening, neudeutsch für Gärtnern in der Stadt, auf. Wie seht ihr die Entwicklung der Gemeinschaftsgärten bzw. Urban Gardening in Deutschland? Kerstin: Man bemerkt, dass es doch vielen so geht, dass sie sich vielleicht etwas entfremdet fühlen und die Möglichkeit einer Gemeinschaft wertschätzen. Ich denke das hängt mit äußeren Umständen, wie Klimadebatte und Überkonsum zusammen. Solche Vorgänge veranlassen viele Leute dazu, sich wieder mit der Erde, auf der sie leben, in Verbindung zu setzen und gemeinsam aktiv zu werden. Ein Garten ist ein super Portal, um auch solche Geschehnisse begreifbarer zumachen und dies zieht vermutlich viele an. Ich empfinde eine solche Bewegung als sehr positiv und hoffe, dass sich dadurch Möglichkeiten ergeben, wie ein verstärktes Interesse für Umweltthematiken, Potentiale der Kollektive und kulturelle Inseln vor der Haustür. Till: Wir sind zwar nicht mehr ganz so urban – eher suburban. Ich persönlich freue mich sehr über den neuen grünen Zeitgeist und hoffe sehr dass es nicht nur eine Modeerscheinung bleibt. Inzwischen habt Ihr schon einiges an Erfahrungen gesammelt. Welchen Tipp gebt Ihr Menschen die sich mit dem Gedanken tragen einen Gemeinschaftsgarten zu gründen? Till: Ich würde sagen, wir hatten sehr viel Glück. Wir haben recht blauäugig angefangen, hatten dann aber zur rechten Zeit immer die passende Person zur Hand. Ein Mitglied hatte schon Erfahrungen in der Gründung eines Vereines und hat große Teile unserer Satzung auf den Weg gebracht. Eines unserer Vorstandsmitglieder ist Steuerberater und hat viel von dem behördlichen Briefverkehr übernommen. Als wir bei der Vereinsgründung immer noch ohne Garten da standen hatten wir das Glück, dass uns ein Freund anbot, die von ihm gepachtete Wiese mit ihm zusammen zu bewirtschaften. Inzwischen haben wir den Pachtvertrag übernommen. Auch Tobi ist natürlich ein Glücksgriff. Ohne ihn wären wir vor der Wiese gestanden wie der Ochs vorm Berg. Jedoch ist das Glück nun mal auf der Seite der Fleißigen (Tobi), Mutigen (Till) und Guten (Kerstin). ;-) Von daher würde ich jedem raten, es einfach zu tun. In dieser Szene wimmelt es nur so von Unterstützung; seien es bereits bestehende Vereine, Gärtnereien, diverse Stiftungen (hier ist ganz besonders die Anstiftung zu nennen: http://anstiftung.de/), staatliche Unterstützung und nicht zuletzt sympathisierende Privatpersonen. Kerstin: Auch mein Tipp ist: Einfach mal anfangen! :) Leute zusammenbringen, Fläche suchen, alle im Umfeld miteinzubeziehen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Tobi: Zu Beginn ist die Motivation immer groß aber um so ein Projekt tatsächlich auf die Beine zu stellen und am Laufen zu halten ist ein Kern von ein paar Leuten, auf die man sich verlassen kann, unabdingbar. Für so ein Projekt sollte man auch genügend Geduld und Muße mitbringen. Nach der erfolgreichen Vereinsgründung und zwei Jahren gemeinsamen Gärtnerns, was gefällt euch besonders am Gemeinschaftsgarten? Kerstin: Das Miteinander und die Dynamik des Gartens, jedes Mal, wenn man vorbeiguckt hat sich wieder etwas getan. Till: Das Lernen voneinander. Für mich gibt es keine entspanntere Art des Wissenstransfers, als einfach mitzumachen und dabei erklärt zu bekommen, warum man das jetzt genau so macht und nicht anders. Mit etwas Glück bekommt man bei uns dafür sogar eine hoch wissenschaftliche Begründung geliefert. Wenn man es trotzdem nicht glauben will, kann man ja seine eigenen Überlegungen in unseren Gärten ausprobieren, und mit der anderen Technik vergleichen. Probieren geht auch bei uns über studieren. Tobi: Mir gefällt besonders, dass der Garten jederzeit zugänglich und zu einem kleinen Freiraum in der oft so stressigen Welt geworden ist. Ich kann dort wunderbar abschalten, den Jahresverlauf der Pflanzen verfolgen und die Zeit vergessen. Wie Till finde ich es schön einen Ort für alternativen Wissensaustausch zu haben. Nach der erfolgreichen Gründung hat sich der Gemeinschaftsgarten zu einer grünen und essbaren Oase in einer Kleinstadt entwickelt. Was wünscht Ihr euch noch für die Zukunft von Knollen & Co.? Till: Obwohl wir inzwischen einen Pachtvertrag haben, würde ich mir mehr Kontinuität und Planbarkeit für unsere Flächen wünschen. Außerdem eine noch buntere Mischung unserer Mitglieder. Wir sind im Moment ein recht junger Verein. Das hat Vor- und Nachteile. Ich würde mir jedenfalls auch ein paar Senioren wünschen. Da sind bestimmt noch einige Schätze in Sachen alten Wissens zu heben. Zu Letzt würde ich mir einen besseren Kontakt mit der Stadt wünschen. Bisher ist es noch nicht wirklich zu einem Austausch gekommen. Jedoch glaube ich, dass sich mit beiderseitigem Wohlwollen eine fruchtbare Zusammenarbeit ergeben könnte. Tobi: Ich wünsche mir, dass sich die Idee einer alternativen Selbstorganisation verbreitet und auch bei den ein oder anderen skeptischen Bürgern Anklang findet. Auf dass unser Wohlstand nicht länger auf Ausbeutung und Egoismus beruht, sondern auf gemeinschaftlich nachhaltiger Tatkraft! Kerstin: Auch ich würde mir wünschen, dass noch mehr Leute mitmachen und wir uns gegenseitig tatkräftig unterstützen. Und vor allem wünsche ich mir das noch viele wunderschöne Momente, Ideen und was es sonst noch so gibt entstehen und uns die Tage versüßen. Vielen lieben Dank Kerstin, Till und Tobi, das ihr euch die Zeit genommen habt den Gemeinschaftsgarten Knollen und Co. aus Freising vorzustellen. Wir sehen uns beim garteln im Gemeinschaftsgarten! Wer Interesse am gemeinschaftlichen Gärtnern hat, kann sich auf der Homepage www.knollen-und-co.de oder auf Facebook informieren und auch gerne Kontakt aufnehmen. Da ich viele Mitglieder persönlich kenne, kann ich nur sagen, die Gemeinschaftsgärtner sind alle sehr nette und hilfsbereite Leute, also keine Scheu. Auch ich stehe zur Verfügung, entweder für Fragen oder um einen Kontakt herzustellen. |
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May 2020
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